Dazu muss man sagen…
Am 19.7.08 fand in Ladenburg der bekannte Römerman-Triathlon statt.
Dazu muss man sagen, dass manchmal der Wechsel als „vierte Disziplin“ bezeichnet wird, das wäre dann ein Tetrathlon. Man kann das aber ausweiten…
Samstag später Vormittag, Startunterlagen abholen, einchecken, das Rad noch mal auf 8,5 bar kontrollieren, eine Banane essen, Wettkampfbesprechung, dann geht es gemeinsam zum Bootsanleger, wo Neopren angelegt wird und die letzten Utensilien abgegeben werden.
Ab jetzt bin ich halb blind.
Dazu muss man sagen, dass ich stark kurzsichtig bin und keine Kontaktlinsen trage.
Auf dem Schiff während der Fahrt zum Start zähle ich die Bojen, die in kräftigem Rot und Grün die Schifffahrtsrinne ausweisen, mit, es sind wie immer drei, damit ich beim Schwimmen einen Anhaltspunkt habe, denn Feinheiten wie Uferbeschaffenheit oder gar das Ziel sehe ich auf die Ferne nicht. Manchmal beschlägt auch die Schwimmbrille, dann bietet sich schon der Albtraum an, bis zur Eisenbahnbrücke zu schwimmen, bevor vielleicht ein Kontrollboot einen rausfischt.
Sprung ins Wasser, ein wenig gegen den Strom schwimmen, Zehn, Neun, …, Schuss, es geht los.
Heute zieht es sich aber mächtig, die erste Boje lässt ganz schön auf sich warten. Dann kommt die zweite, naja, das geht auch noch vorbei. Immerhin habe ich erfreulich unbeschlagene Sicht, für meine Verhältnisse gar nicht schlecht.
Uuups, was ist denn das, rechts vorne so viele Menschen?! Da ist ja schon das Ziel in Sicht! Na, da habe ich wohl die erste Boje übersehen.
Ich gebe noch ein bisschen Gas, bekomme glatt einen Krampf, noch etwas Brustschwimmen, und stolpere mit einer Top-Zeit an Land: Noch 7 männliche Teilnehmer hinter mir, wie die spätere Recherche ergibt.
Ab in die Wechselzone, Neo runtergetrampelt, rein in die Schuhe, zum Balken gejoggt und aufs Rad. Ei was ist denn das? Hinten platt.
Dazu muss man sagen, spätere kriminalistische Recherchen ergaben, dass der Autor dieser Zeilen bei einem früheren Speichenwechsel das Felgenschutzband beschädigt und nicht sorgfältig abgeklebt hatte. Der Schlauch mit 8,5 bar schaffte sich während meines gemütlichen Schwimmabenteuers durch das entstehende Löchlein und platzte.
Schlauchwechsel noch im Schwimmbadbereich, jede Menge Zuschauer (das spornt an), mit der rechten Hand locker in Kette und Umheber gegriffen (auch späteres Abwischen am Trikot half nicht wirklich, den schwarzen Schlaaz irgendwie abzukriegen), die Mantelheber wie üblich viel zu weich und rutschen dauernd raus (Sch…), mit dem Minipümplein irgendwie 3-4 bar reingedrückt: 7 Minuten! Meine Rekordzeit! Es folgt der klare Gedanke, wenn jetzt noch mal was passiert, dann heißt es heimlaufen.
Der Fachmann ahnt es, das war die fünfte Disziplin.
Jetzt geht es endlich los, tatsächlich ist noch der eine oder andere mit mir unterwegs; noch im flachen Teil der Strecke (kräftiger Rückenwind, man kann die 40 sehen) fliegt mir irgendwas ins rechte Auge. Beim Abwischen der Tränen stelle ich fest, dass diese offenbar Reinigungsfunktion besitzen, denn meine Fingerkuppen wechseln die Farbe von schwarz nach rosa. Interessant.
In Dossenheim die Rampe hoch, dann die lange Steigung auf den Weißen Stein, ich rolle das Feld von hinten auf (Kunststück, bei der Startposition…), aber es macht Spass. Nur das Auge, das macht nicht mit, am besten ich kneife es zu. Oben angekommen – bei der Wettkampfbesprechung war informiert worden, dass der Waldweg am Vortag noch mal gekehrt worden sei – heize ich einäugig voll durch, Dreck und Äste hätte ich nicht mehr gesehen, und kann sogar zwei Radler überholen. Bergab nehme ich mir vor, langsam zu fahren, denn das Auge tut nun eindeutig weh und will zu gehalten werden.
Dazu muss man sagen, dass ich ziemlich schissrig bin beim Runterfahren, vielleicht altersbedingt, im Training sind 50 km/h so ungefähr das Limit. Wer weiß, was der Knochenbau macht, wenn er ohne Knautschzone durch die Gegend fliegen sollte.
Also, die Abfahrt Richtung Schriesheim ist wie immer super, die eine Spitzkehre kennt man ja – manche Sportskollegen schleichen ja geradezu! Da komme ich doch auf der nächsten Gerade vorbei, mit ein bisschen Gas und ganz klein gemacht…
Der Fahrradcomputer wusste es nachher: Spitze 65 km/h – mit einem Auge: Bestimmt rekordverdächtig!
Nochmal rauf nach Ursenbach, irgendwie rumpelt die Schaltung auch die ganze Zeit, da ist wohl das Hinterrad nicht ordentlich montiert, Schlamperei. Da ich immer noch hinten im Feld bin, gibt es auch hier noch jede Menge Kollegen zu überholen, das spornt an. Letzte Abfahrt, ab ins freie Feld, der Rückenwind verkehrt sich – Überraschung, Überraschung – in scharfen Gegenwind. Noch ein, zwei Duelle, die Flasche geleert, dann endlich naht die Wechselzone.
Zu Beginn der Laufstrecke wird Wasser ausgeschenkt, ich kippe mir einen Becher ins offene Auge, in der Hoffnung, den Fremdkörper oder was da auch wehtut, rauszuspülen. Zwei Effekte: Erstens, es tut noch weher als vorher, zweitens, das Wasser läuft mir in den Schuh.
Dazu muss man sagen, dass ich Kunststoffeinlagen trage, und wenn diese nass sind, bekomme ich ohne Socken diretissima Blasen auf der Fußsohle.
Jetzt mache ich am besten beide Augen zu (alle paar Meter kurz blinzeln – wo geht es lang? – und gleich wieder zu, nur die Augen nicht bewegen), noch 9 km.
Der rechte Fuß meldet sich, noch 8.
An der nächsten Getränkestelle noch mal Wasser ins Gesicht, selber Effekt wie oben, noch 7.
Der Fotograf hält auf mich, leider, Lächeln ist nicht mehr. Noch 6. Die Blase tut weh.
Stadionrunde, Fankurve, Freunde rufen meinen Namen, ich kann nicht mehr hinsehen. Sorry Jungs!
Noch 4.
Das hältst du durch! Wenn nur der Schmerz nicht wäre.
Ein entgegenkommender Läufer rennt mich fast über den Haufen, weil ich ihm blind vor die Füße gelaufen bin. Noch 1.
Letzte Schleife, Stadionrunde, Ziel. Im Moment keine Euphorie – nur unter die Dusche, diesen Fremdkörper rausspülen!
Leider, Effekt siehe oben, offenbar hat Wasser keine schmerzstillende Wirkung auf die Hornhaut, jetzt muss Plan B in Kraft treten: Mit letzter Sicht zum Bierausschank – „Könnt Ihr einen Sani holen?“
Dazu muss man sagen, dass Hornhautverletzungen sehr schmerzhaft sind, was jeder natürlich nicht weiß bzw. nicht nachvollziehen kann, der selbige noch nicht hatte.
Der Rest lief dann sehr professionell ab, Betreuung durch Sanitäter und Arzt, Ausrufen meiner Frau (als Fahrdienst) aus der feiernden Truppe, Empfehlung eines Notdienstes im Klinikum Mannheim; dort wurde ich aufgeklärt, dass die Geschichte zwei bis vier Tage recht unangenehm sein würde („Sie werden schlecht schlafen können“), und ich wurde in Gnaden entlassen. Zu Hause Vollpumpen mit je der 1 ½ fachen Tagesdosis zweier verschiedener Schmerzmittel, es war nicht wirklich lustig, aber nach 48 h war der Spuk schon fast vorbei.
Nach zwei Tagen hat mich auch die Ergebnisliste wieder interessiert, noch knapp im mittleren Drittel der Altersklasse, trotz der fünften Disziplin…; eigentlich war es doch knackig.
Und warum Hexathlon? Ja, die sechste Disziplin war der Notarzt!
Emotion pur, dieser Wettkampf wird mir sicher lange in Erinnerung bleiben, und allen Betreuern vor Ort nochmals ein herzliches Dankeschön für die souveräne Bewältigung auch solcher Sonderansprüche!
Gunther Mair